Am Dienstag, dem 16. Mai ging es frühmorgens los, denn eine etwa 12stündige Busfahrt stand bevor. Aber diese lange Reise hatte auch ihr Gutes, denn schon während der Fahrt fanden die studentischen Teilnehmer, die sich vorher nur zum Teil kannten, zueinander.
Das weitläufige Gelände der Internationalen Begegnungsstätte auf dem ehemaligen Gut der Grafen von Moltke in Niederschlesien stieß auf Anhieb auf Begeisterung. Schnell waren die Zimmer verteilt und die Gruppe fand sich zum Abendessen im zum Speisesaal umgebauten ehemaligen Kuhstall. Nach der langen Fahrt waren alle hungrig und genossen ein reichhaltiges Abendessen, um dann noch einmal kurz im ehemaligen Schloss, dem Zentralgebäude des Gutes zusammenzukommen und den Ablauf der nächsten Tage zu besprechen. Nach einem Bierchen in der Bar endet dieser Tag, alle zogen sich auf ihre Zimmer zurück und erholten sich dort.
Denn schon um 8 Uhr war es Zeit zu frühstücken. Gestärkt und gesättigt bekam die Gruppe eine großartige Führung über das Gelände, die Dominik Kretschmann, der Leiter der dortigen Gedenkstätte, nutzte, um in die Geschichte der Familie von Moltke, deren Gut und seine Geschichte v.a. nach 1945 einzuführen. Zentrales Ziel dieses Rundgangs war das sog. Berghaus, in dem einige wichtige konspirative Treffen des „Kreisauer Kreises“ stattgefunden hatten. Besonders hier war die ganz besondere Atmosphäre Kreisaus zu spüren.
Nach dieser Ein-Führung fand sich die Gruppe wieder in den Seminarräumen des Schlosses ein, wo es nun an die Arbeit ging. Die beiden Leiter dieses Jugendworkshops hatten ein Rollenspiel vorbereitet: jede/r Teilnehmerin wählte für sich die „Rolle“ eines „Kreisauers“ aus, um von nun an als Helmuth James Graf von Moltke, als Peter Graf Yorck von Wartenburg, Julius Leber, Freya von Moltke etc. zu agieren und aus deren Perspektive zu argumentieren. Auf diese Weise wurde eine Tagung des „Kreisauer Kreises“ gewissermaßen nachempfunden. Anfangs fiel es den Teilnehmern nicht ganz leicht, als jemand anders zu diskutieren, aber nach kurzer Zeit funktionierte dieser Rollentausch erstaunlich gut. Mit großer Ernsthaftigkeit, die immer wieder einmal von Lachen und Szenenapplaus für einen besonders gelungenen Auftritt unterbrochen wurde, debattierten die Teilnehmer die Kreisauer Grundsätze für eine neue Staatsordnung und die Rückkehr zu einem Rechtsstaat mit einem neuen Wertesystem. Da es dem „echten“ Kreisauer Kreis darauf angekommen war, alte politische und Standeshürden zu überwinden und ein möglichst breitgefächertes Meinungsspektrum in die Diskussion über die Zukunft Deutschlands nach Hitler einzubinden, begriffen die Teilnehmer in ihren jeweiligen „Rollen“ sehr schnell, wie schwierig es gewesen sein muss, Kompromisse zu finden, um zu einem gemeinsamen getragenen Ergebnis zu gelangen.
Nach dem Mittagessen und einer weiteren Diskussionsrunde ging es dann erneut zum Berghaus, wo ein Highlight auf die Gruppe wartete: Die Lesung aus den letzten Briefen, die sich Helmuth James und Freya von Moltke geschrieben hatten, in verteilten Rollen. Da der Verurteilung Helmuth James von Moltkes zum Tode nicht die unmittelbare Hinrichtung gefolgt war, blieb dem Ehepaar noch eine stets ungewisse Zeit des heimlichen brieflichen Kontakts. Diese erschütternden Abschiedsbriefe gingen allen unter die Haut! Es wurde den Teilnehmern immer bewusster, in welch hilfloser Lage sich das Ehepaar in der Zeit des Nationalsozialismus befunden hat und wie viel Mut dazu gehörte, Widerstand zu leisten. Recht schweigsam und in Gedanken versunken fand die Gruppe den Weg zum Abendessen.
Am Donnerstag lag der Fokus sodann nochmals auf der Arbeit in Gruppen, um ein vorstellbares Ergebnis der Diskussionen vorzubereiten, ehe am späten Nachmittag Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, der als Historiker an der Universität Wroclaw tätig ist und dort das Willy-Brandt-Zentrum leitet, einen Vortrag über den polnischen Widerstand gegen das „Dritte Reich“ hielt. Auf diese Weise wurde der „innerdeutsche“ Widerstand der Kreisauer durch die spannende Darstellung der polnischen Aktivitäten im besetzten Polen ergänzt. Nach dem Abendessen wurden dann die Diskussionsergebnisse des Rollenspiels vorgestellt.
Der Freitag war für einen Tagesausflug nach Breslau vorgesehen. Kaum angekommen, wurden wir von den zwei Breslauer Germanistikstudenten Natalia und Marcel mit den wichtigsten Highlights dieser wunderschönen Stadt vertraut gemacht. Nach dieser Stadtführung und einem leckeren Mittagessen in der Breslauer Mensa blieb der Gruppe noch einige Zeit, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Natalia und Marcel blieben weit über die vereinbarte Zeit bei der Gruppe und konnten noch auf zahlreiche Besonderheiten Breslaus verweisen und ein gutes Bild des heutigen Wroclaw vermitteln.
Auf der Rückfahrt am Samstagmorgen setzte dann ziemlich schnell eine gewisse Erschlaffung nach diesen intensiven Tagen ein. Es war die einhellige Meinung der Gruppe, etwas sehr Besonderes erlebt zu haben, weshalb ein Appell an die Forschungsgemeinschaft gerichtet wurde, solche Kreisaufahrten unbedingt zu wiederholen. Dieser Ort mit seiner spezifischen Aura und seiner wechselhaften Geschichte erschien allen als besonders geeignet für die Durchführung der regelmäßig stattfindenden Jugendworkshops. Jeder Teilnehmer wäre gerne beim nächsten Mal wieder dabei!
(Pascal Auggenthaler)