Widerstand in Zeiten des Krieges

Bericht zur XXXIV. Königswinterer Tagung, 2022

Wie plant man ein Attentat auf Hitler und einen aufwändigen Staatsstreich nicht nur unter den Augen der Gestapo, sondern auch den Bedingungen des Krieges? Wie fanden die Verschwörer im totalitären NS-Staat überhaupt zueinander und wie hielten sie das mühsam geknüpfte Netzwerk instand, an dem jede der in Kriegszeiten besonders häufigen Versetzungen zerrte? War Widerstandsarbeit gegen das Regime schon vor dem Zweiten Weltkrieg überaus riskant, schränkte dieser den Handlungsspielraum von Oppositionellen in Deutschland nochmals deutlich ein. Die XXXIV. Königswinterer Tagung beleuchtete diese Handlungsspielräume von Widerstand, die herrschaftstheoretischen Strukturen, unter denen er stattzufinden hatte, sowie die Netzwerke und Kommunikationskanäle, die die militärischen Verschwörer an der Front mit den zivilen im Reich verbanden.

Ohne das Umfeld des Krieges, so WINFRIED HEINEMANN (Potsdam/Cottbus) im Eröffnungsvortrag am Freitagabend, lasse sich der militärische Widerstand gegen Hitler nicht verstehen. Im Denken der Öffentlichkeit der 1950er- und 1960er-Jahre sei ein negatives Bild der Widerstandskämpfer des 20. Juli als „Verräter“ oder „Attentäter“ verankert gewesen, dessen Fortbestand bis heute noch wahrzunehmen sei. Dabei betonte der Referent, es sei verkürzt, den „nationalkonservativen“ Widerstand daran zu messen, ob ihn die Zeitgenossen für geboten oder unmoralisch gehalten hätten. Wehrmachtsoffiziere, die sich in der Tradition Carl von Clausewitz’ sahen, hätten vielmehr die moralische Vertretbarkeit von Krieg zunächst nicht infrage gestellt. Es sei weithin akzeptiert gewesen, den Versailler Vertrag als „ungerechtes Diktat“ auch mit militärischen Mitteln zu revidieren. Erst mit der Einsicht, sich nicht in einem europäischen Normalkrieg zu befinden, sondern Teil eines endlosen, genozidalen Krieges zu sein, der auf das Ende des Deutschen Reiches hinausliefe, habe nationalkonservative Militärangehörige zum Widerstand bewegt. Ziel dieses Widerstandes sei dann ein für Deutschland günstiger Friedensschluss gewesen, für den Hitler unabdingbar hätte getötet werden müssen, um alle Loyalitäten ihm gegenüber zu kappen, so Heinemann.

Dass es eine „ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere“[1] gewesen sei, die den Staatsstreich unternommen habe, widerlegte LINDA VON KEYSERLINGK-REHBEIN (Dresden) als zweite Referentin der Tagung. In ihrem Vortrag analysierte sie das weit verflochtene Netzwerk der Widerstandskämpfer und visualisierte es grafisch. Die Referentin stellte heraus, wie das Netzwerk der Widerstandskämpfer zu Geheimhaltung und Schutz vor Denunziation zwar nur vorsichtig erweitert wurde, aber dennoch eine beträchtliche Größe annahm: Die Gestapo ermittelte ein Beziehungsgeflecht von 132 Personen, welches sie selbst bei ihren Recherchen um 70 weitere Personen ergänzen konnte. Es habe sich herausgestellt, dass es sich beim 20. Juli keineswegs um eine in erster Linie vom Militär geprägte Aktion gehandelt habe. Die allumfassende Überwachung durch den NS-Apparat vor allem im zivilen Bereich, so die Referentin, habe die Rekrutierung neuer Mitglieder allerdings stark behindert. Aber auch der Korpsgeist des Militärs, das einen persönlichen Eid auf Hitler geschworen hatte, sowie die logistischen Schwierigkeiten von Krieg und alliiertem Bombardement hätten bedeutende Herausforderungen für die Widerstandsarbeit dargestellt und beispielsweise die dezentrale Organisation von Attentat und Staatsstreich zur Folge gehabt.

Über den „verkleideten Zivilisten“ Fabian von Schlabrendorff, Rechtsanwalt und Reserveoffizier, trug MARIO MÜLLER (Chemnitz) vor. Ein Mann in Uniform, so der Referent, der den Krieg verabscheut und am 13. März 1943 einen Attentatsversuch gegen Hitler unternommen habe, dessen Existenz in der Forschung lange angezweifelt worden sei. Gegen Historiker wie Karl Heinz Roth oder Roman Töppel stützte der Referent seine Sichtweise für die Historizität des fehlgeschlagenen Attentates auf Berichte von fünf Zeitgenossen. Neben der von ihm als vertrauenswürdig eingestuften Quelle des Tagebuchs von Hermann Kaiser führte er Zeugenaussagen von Christine Dohnanyi, Erwin Lahousen, Carl Ludwig von Bergen und Helmut Stieff an, die bestätigten, dass Schlabrendorffs Versuch, Hitler schon 1943 zu töten, historisch gut dokumentiert und damit glaubwürdig sei.

Eine Gruppe, die ähnlich den „verkleideten Zivilisten“ eine Brücke zwischen zwei Welten schlug, waren die Feldgeistlichen in der Militärseelsorge. DANIEL E.D. MÜLLER (Cambridge, Mass./Bonn) untersuchte unter der Streitfrage „Dilemma oder Komplizenschaft?“ ihre strategische Funktion im Krieg wie im nationalsozialistischen Herrschaftsgefüge insgesamt. Während man denken könne, die Interessen von Regime und Kirchen träfen sich in der Militärseelsorge, ergebe sich ein deutlich nuancierteres Bild, wenn man den Blick auf die kirchenpolitische Gesamtstrategie des Nationalsozialismus lenke: Denn Hitler habe, wie auch beim Abschluss des Reichskonkordates von 1933, in der Militärseelsorge mit den Kirchen zusammenarbeiten lassen, um sie in Zukunft vernichten zu können. Die Strukturen dieses Herrschaftsgebildes seien dabei von ihm stets so ausgerichtet worden, dass der Diktator auch bei Zusammenarbeit mit den Kirchen, wie in der Militärseelsorge, unter seinen Vertrauten keine Zweifel an seinen langfristigen Absichten gelassen habe. Hierdurch hätte er die Paladine des Regimes ermutigt, trotz dieser Zusammenarbeit auf ein Ende der Kirchen hinzuarbeiten, wofür der gewonnene Krieg Voraussetzung gewesen sei – und an dem wiederum die Kirchen in der Militärseelsorge mitarbeiteten. Trotz und wegen dieser Zusammenarbeit habe der Diktator die Kirchen also an ihrem eigenen Ende mitarbeiten lassen. Mit Blick auf die Leitfrage wog Müller ab, dass Elemente der Komplizenschaft, wie die frühe Kenntnis der Feldgeistlichen über Shoa und Vernichtungskrieg, klar existierten. Eingerahmt seien diese Momente dann aber von dem Dilemma, das die Kirchen über die Kooperation mit dem Regime in der Militärseelsorge auf ihre eigene Beseitigung hinarbeiten ließ.

Der Vortrag von PATRICK HOFERER (Bonn) thematisierte den von der Forschung lange übersehenen Widerstandskämpfer, Manager und Wirtschaftsführer Wilhelm Roloff. Hoferer bot einen biographischen Abriss über das Leben Roloffs, der einerseits dessen Verbindungen zum Widerstand herausstellte und andererseits der Frage nachging, inwiefern der Bremer „Fichtenhof“ in Anlehnung an Sebastian Siglers Formulierung als ein „kleines Kreisau in Norddeutschland“ gelten könne. Der Referent gab zu bedenken, dass die Bezeichnung „Kreisauer Kreis“ die Vorstellung wecke, es habe sich um eine feste Organisation von Verschwörern gehandelt, die sich regelmäßig als solche getroffen hätten, was analog auf den „Fichtenhof“ zuträfe. Auch hier hätten sich die Teilnehmenden stets in unterschiedlichen Konstellationen getroffen. Hoferer vertrat allerdings die Auffassung, die Rolle des „Fichtenhofs“ sei bislang überbetont worden, weshalb er die Bezeichnung „kleines Kreisau in Norddeutschland“ nicht für zutreffend halte, da sie die Bedeutung dieser Treffen überschätze. Unabhängig von den Orten der Treffen hätten die Mitglieder beider Widerstandsgruppen das NS-Regime aber aus vergleichbaren Motiven abgelehnt.

Im Rahmen dieser Tagung zeichnete die „Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944“ zum siebten Mal eine besonders verdiente Forschungsleistung mit dem „Dorothee-Fliess-Preis für Widerstandsforschung“ aus, die ein neues Verständnis der im Zusammenhang von Staatsstreich und Attentat beteiligten Personen und Gruppen eröffnet: der Preis ging an die Dresdner Historikerin Linda von Keyserlingk-Rehbein für ihre Dissertation. Unter dem Titel „Nur eine ‚ganz kleine Clique‘? Die NS-Ermittlungen über das Netzwerk vom 20. Juli 1944“ hatte Keyserlingk-Rehbein die Ermittlungen der Gestapo unter die Lupe genommen und die neue Forschungsmethode der Historischen Netzwerkanalyse auf die Involvierten der Attentats- und Staatsstreichpläne vom 20. Juli 1944 angewandt. Hierdurch konnte sie aufzeigen, was die Ermittler seinerzeit alles nicht herausgefunden hatten und wie ein weitverzweigtes Netzwerk von über 200 Personen das konspirative Vorhaben plante, organsierte und durchführte. Hitlers verfemende Radioansprache, in der er das Attentat bloß auf eine „ganz kleine Clique“ ehrgeiziger Offiziere zurückführte, widerlegte Keyserlingk-Rehbein damit endgültig.

Verleihung des Dorothee-Fliess-Preises für Widerstandsforschung

CHRISTOPH STUDT (Bonn) verband in seinem Vortrag die an der Front kämpfenden Militärs mit den in der Heimat Verbliebenen. Er sprach über jenes einzig verfügbare Kommunikationsmittel, das für die Zeitgenossen deshalb als symbolischer Lebensfaden gegolten habe: Feldpost, eine Quellengattung, die erst seit der Mitte der 1980er-Jahre in der Geschichtswissenschaft Beachtung gefunden habe. Allein das Wissen um die dienstliche Zensur hätte das Verfasste beeinflusst: „eine Schere im Kopf des Briefschreibers, die auch zuschnappte“. Hinzu kamen Überlegungen darüber, was man dem jeweiligen Briefpartner überhaupt an Informationen aus dem kriegerischen Alltag an Front und Heimatfront habe zumuten können. Zwar habe Feldpost mit Blick auf die in ihr – trotz aller Zensurgefahren mit entsprechend drastischen Strafen – durchaus geäußerte Kritik eine potenzielle „Sprengkraft“ gehabt, die dem NS-Regime nicht behaglich war, doch habe es sich zumeist um tagesaktuelle Meckerei, fast nie aber um einen grundsätzlichen Dissens gehandelt. Ein entscheidender Wandel habe erst 1943/1944 stattgefunden. Zunehmend seien in dieser Zeit Stimmen lauter geworden, die hinterfragt hätten, wie lange „der Schwindel“ – gemeint war der Krieg – noch anhalten würde. Das Wort „Sieg“ sei aus der Feldpost verschwunden, die Sehnsucht nach Rückkehr in die gewohnte Welt habe zugenommen. Das alles sei zwar kein regimegefährdender Widerstand, doch punktuelle Dissonanz wie Unzufriedenheit, Nichtanpassung oder Protest, also Begrifflichkeiten, die die Forschung zur Kategorisierung von Widerstand und Opposition entwickelt hat, seien erfüllt worden, wenngleich die allgemeine Loyalitätsaufkündigung kaum je ausgesprochen worden sei.

Die Tagung beschloss der Vortrag von RENE SMOLARSKI (Jena) zu Briefmarken als historischer Quellengattung. Der Referent konnte zeigen, welche Rolle Briefmarken in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur spielen und gerade auch den öffentlichen Diskurs um den 20. Juli reflektierten. So habe das von den Nationalsozialisten konstruierte Propagandabild einer „ganz kleinen Clique“ an Widerstandskämpfern im Denken einer breiten Öffentlichkeit im Nachkriegsdeutschland weitergewirkt, weshalb auch in den 1950er- und 1960er-Jahren noch Vorbehalte gegenüber dem Vorhaben bestanden hätten, eine Briefmarkenausgabe zum Gedenken an die Verschwörer des 20. Juli 1944 auszugeben. Erst 1964 sei es dann gelungen, einen Gedenkblock von Briefmarken mit Illustrationen von Personen des Widerstands wie Scholl, Beck, Bonhoeffer, Delp, Goerdeler, Leuschner, Moltke oder Stauffenberg zu veröffentlichen – was der Referent auch für diese Zeit als nur halbherzig und keineswegs konsensfähig bezeichnete. Darüber hinaus zeigten die ausgegebenen Briefmarken, wie die Arbeit der einzelnen Widerstandsgruppen nicht als gleichwertig angesehen worden wäre: Während zum Beispiel der kommunistische Widerstand in Westdeutschland lange von der öffentlichen Erinnerung ausgeschlossen gewesen sei, habe das Hauptaugenmerk des Bundespostministeriums auf dem konservativen Widerstand gelegen. Briefmarken spiegelten, so der Referent, die öffentliche Wahrnehmung und seien dementsprechend eine hilfreiche Quellengattung, um die Kultur der Erinnerung an den Widerstand in der Bundesrepublik zu untersuchen.

Als Ergebnis hielt die Abschlussdiskussion der Tagung fest, wie eng die Handlungsspielräume gesetzt, wie sinister die strategischen Bedingungen, unter denen sich Widerstand organisierte, strukturiert waren, und wie stark sich die Personen und Gruppen, die sich für den Widerstand gegen das Regime entschlossen, unter den gegebenen Bedingungen vernetzen konnten. Zusätzlich eingeschränkt und erschwert wurde die Arbeit dieser Personen dann allerdings – und paradoxerweise – durch den sich gegen das Regime wendenden Kriegsverlauf: Das Bombardement deutscher Städte traf auch Widerstandskämpfer, die zusehends beschädigte Infrastruktur erschwerte persönliche Treffen und das militärisch unter Druck stehende Regime eskalierte seine Abhör- und Terrormaßnahmen. Widerstand in Zeiten des Krieges, schloss die Diskussion, habe eine ohnehin sehr hohe Schwelle zur aktiven Opposition gegen das Regime schon in Friedenszeiten nun auf längeren Wegen, mit knapperen Mitteln und unter deutlich verschärfter Beobachtung übersteigen müssen.

Konferenzübersicht:

Winfried Heinemann (Potsdam/Cottbus): Zum Zusammenhang von Kriegsverlauf und Staatsstreich

Linda von Keyserlingk-Rehbein (Dresden): Netzwerkbildung im Widerstand unter den Bedingungen des Krieges

Mario Müller (Chemnitz): Der verkleidete Zivilist. Die Rolle Fabian von Schlabrendorffs im Stab der Heeresgruppe Mitte

Daniel E.D. Müller (Cambridge, Mass./Bonn): Dilemma oder Komplizenschaft? Die strategische Funktion der Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg

Patrick Hoferer (Bonn): Ein „kleines Kreisau“ in Norddeutschland? Wilhelm Roloff (1900–1979) und seine Rolle als Manager, Wirtschaftsführer und Widerstandskämpfer

Christoph Studt (Bonn): Feldpost – eine Quelle für die Widerstandsforschung?

René Smolarski (Jena): Die Entstehung der Briefmarken-Gedenkausgabe zum 20. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944

Fußnoten:

[1] Adolf Hitler, Rundfunkansprache zum Attentat vom 20. Juli 1944, 21. Juli 1944, 1:00 Uhr, abgedruckt in: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Bd. 2, Teilbd. 2, Untergang. 1941–1945, München 1965, S. 2127-2129, hier: S. 2127.

Beiträger: Vaneh Andresian, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn / Daniel E.D. Müller, Harvard Divinity School, Harvard University

online unter: <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-130429>