Der Jugendworkshop 2016 fand in Krzyzowa/Kreisau statt

Vom 2. bis 6. November 2016 führte die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V. ihren jährlichen Workshop für „Young Professionals“ durch. Dieses Jahr ging die Reise von Bonn über Dresden weiter in die internationale Jugendbegegnungsstätte im niederschlesischen Krzyzowa/Kreisau. Hier, auf dem ehemaligen Familiengut der Familie Moltke stand die Tagung ganz im Zeichen des zivilgesellschaftlichen und christlichen Widerstands des Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg.

Die Teilnehmenden des Jugendworkshops 2016 in Kreisau

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde am Mittwochabend und einer Einteilung in drei Arbeitsgruppen zu den Themen „Aus der moralischen Neuordnung Deutschlands folgt die staatliche: Das Christentum als Gegenentwurf zu nationalsozialistischer Barbarei und Ausgangspunkt für ein neues, anderes Deutschland“, „«Wo ich mich zu dienen berufen fühle» – Die Wertvorstellungen einzelner Akteure des Kreisauer Kreises“ und „Die Europavorstellungen des Kreisauer Kreises – ein Konzept für die Zukunft?“ stand der erste Abend ganz im Zeichen des persönlichen Kennenlernens und teils intensiver Gespräche über den persönlichen wie auch akademischen Bezug zum Widerstand wie auch der historischen Region Schlesien.

Donnerstag und Freitag waren dann von intensiven Arbeits- und Diskussionsphasen in den jeweiligen Gruppen bestimmt. Der Teilnehmerkreis aus Studierenden der Geschichtswissenschaft, Theologie, Informatik sowie Offiziersstudenten der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität und der Enkelin eines Widerstandsmitglieds bedingte eine intensive und von den Teilnehmern als bereichernd empfundene und so auch artikulierte Auseinandersetzung mit Fragen rund um moralische Implikationen eines praktizierten Christentums, die Bedeutung eines gefestigten Werteverständnisses für eine entschiedene Mitwirkung im Widerstand, das Spannungsfeld zwischen militärischem Treueeid, Vaterlandsliebe und Vertrauen in Gott.

Ein besonderes Augenmerk wurde von allen Gruppen auf die europapolitischen Vorstellungen des Kreisauer Kreises gelegt, da die dort Mitwirkenden immer von einer notwendigen Neuordnung nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas auf Basis eines christlich fundierten Wertesystems ausgingen und ihre Widerstandstätigkeit entsprechend ausrichteten. Die erarbeiteten Ergebnisse wurden von den Gruppen am Freitag im Plenum vorgestellt und diskutiert. Es folgte eine intensive Auseinandersetzung über mögliche Anknüpfungspunkte an die programmatischen Ideen des Kreisauer Kreises angesichts des als krisenhaft und erosionsgefährdet eingeschätzten Zustands Europas in der Gegenwart.

Aufgelockert und angereichert wurden die intensiven Gruppenarbeitsphasen durch eine Führung über das ehemalige Hofgut der Moltkes und die gemeinsame deutsch-polnische Ausstellung „Mut und Versöhnung“ durch Dominik Kretschmann, den Leiter der Gedenkstätte. Es wurden zudem die letzten Briefe aus der Zeit der Haft 1944/45 zwischen Helmuth James Graf von Moltke und seiner Frau Freya von den Teilnehmern im Kaminzimmer des „Berghauses“ (Wohnhaus der Familie Moltke in den Kriegsjahren und Treffpunkt des Kreisauer Kreises) in verteilten Rollen gelesen, was eine beeindruckende und demütig machende Erfahrung zugleich war und die Teilnehmer*innen nachdenklich stimmte.

Am Donnerstagabend hielt die ehemalige Leiterin der Kreisauer Gedenkstätte, Dr. Annemarie Franke, unter dem Titel „«Von oben betrachtet blühen die Rosen, unterhalb stechen die Brennnesseln» – Der lange und mühsame Weg von Kreisau nach Krzyzowa“ einen Vortrag aus ihrer Breslauer Dissertation (ihre Doktorarbeit ist in der Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V. erscheinen). Dabei ging es um die Vorgeschichte der Entstehung der heutigen Jugendbegegnungsstätte, der Gedenkstätte und der Stiftung Kreisau für europäische Verständigung.

Sie vermittelte eindrucksvoll, welch langwieriges Unterfangen die handelnden Akteure in den 1980er Jahren angesichts der schwierigen Aussöhnungssituation zwischen Polen und Deutschen angingen und wie viel persönliches Engagement und Herzblut nötig war, um die heutige Situation des Austauschs und Dialogs in Kreisau überhaupt erst zu ermöglichen.

Am Samstag fuhren alle Teilnehmer mit dem Bus für einen ganztägigen Ausflug nach Wroclaw/Breslau. Nach einer mehrstündigen Stadtführung durch die gebürtige Breslauerin Renata Bardzik-Milosz bestand die Möglichkeit, die europäische Kulturhauptstadt 2016 auf eigene Faust zu erkunden, bevor es abends gemeinsam zurück in die Begegnungsstätte nach Krzyzowa ging. Neben einer intensiveren Erkundung der beeindruckenden Innenstadt nutzten viele Teilnehmer den Nachmittag insbesondere zum Besuch des Stadtmuseums im ehemaligen preußischen Residenzschloss, welches einen Überblick über tausend Jahre wechselvoller Geschichte Breslaus zwischen polnischer und deutscher Herrschaft und eben auch bi-nationaler oder — aufgeladener formuliert — zerrissener Identität der Stadt bis hinein in die Gegenwart darstellt.

Am Sonntag ging es nach dem Frühstück per Bus zurück nach Deutschland. In Dresden wurde wieder ein Zwischenstopp eingelegt und das Militärhistorische Museum der Bundeswehr und hier insbesondere der Teilbereich zum militärischen Widerstand und dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 besichtigt. Begleitet und kommentiert wurde der kurze Rundgang von der für den Bereich Widerstand zuständigen Kuratorin Linda von Keyserlingk, die insbesondere die Interdependenz von militärischem und zivilem Widerstand betonte und sich bemühte, bei den Workshopteilnehmer das Gespür für die Komplexität des Themas Widerstand im „Dritten Reich“ zu stärken, um eindimensionale oder stark verkürzte Narrative in der Erinnerungskultur zu verhindern.

Bericht von Jonathan-Lasse Schulz